Evans hat eine Reihe von Apparaten erfunden, mit denen der Ablauf in einer Getreidemühle verbessert werden konnte. Er hat dies in seinem Buch “The Young Mill-wright and Millers’ Guide” beschrieben. Um seine Ideen zu schützen und entsprechende Einnahmen zu erzielen, hat er Patentschutz gesucht und u.a. das dritte U.S. Patent erhalten.

“The Abortion of the Young Steam Engineer’s Guide” als Quelle zur “Drop Valve Engine”

Sein zweites Buch “The Abortion …” 1 ist für den heutigen Leser ein eher wirrer Text. Dennoch ist es die Hauptquelle zur “Drop Valve Engine”. Es gibt Quellen, nach denen Evans vom Verleger gezwungen worden sei, den Text herauszugeben, obwohl er ihn für unfertig hielt - daher “The Abortion …”.

Evans gibt an, daß seine Maschine einen Kolbendurchmesser von 6 inch (ca. 15 cm) und einen Hub von 18 inch (ca. 45 cm) hatte. Damit wird überdeutlich, daß es sich um eine Hochdruckmaschine gehandelt hat. Evans behauptet, es sei möglich, einen Kessel zu bauen, der ohne jede Gefahr mit 120 psi (über 8 bar) betrieben werden könnte. Mir ist leider nicht klar, bei welchem Dampfdruck die beschriebenen Leistungen erzielt wurden.

Lt. Evans konnten in 24 Stunden 400 Bushel Gips (14 Kubikmeter) gemahlen oder auch 200 Feet Marmor (gut 6 m) gesägt werden. Er beschreibt den Ablauf in der Maschine, geht auf die vier Ventile ein und endet beim Mahlstein. Dieser dreht bei 35 Hüben der Maschine pro Minute mit 100 Umdrehungen.

Es folgt dann wieder ein Abschnitt, in dem Evans im Konjunktiv spricht: Die Maschine könnte 10 Hübe pro Minute machen oder auch 100. Wenn der Kolbendurchmesser 8 inches wäre, dann könnte sie 5 Mühlsteine antreiben.

Zum Vergleich hier die Eckdaten von Watt’s “Lap Engine” von 1788. Diese hatte einen Kolbendurchmesser von 475 mm bei einem Hub von 1244 mm. Watt nannte als Nennleistung 7,5 kW, Messungen lieferten sogar 10 kW. Als Dampfdruck werden 1,5 bar angegeben.

Wegen des angestrebten höheren Dampfdruckes hatte der Kessel für Evans’ Maschinen eine ganz besondere Bedeutung. Es gibt eine Neuzeichnung der “Columbian Engine” aus dem Jahr 1893, in der auch für den Kessel Maße eingetragen sind. Leider sind diese nicht alle gut lesbar. Ich gehe von einem äußeren Durchmesser von 20 inches (ca. 50 cm) und einer Länge von 10 feet (rund 3 m) aus. Er bestand lt. Evans aus geschmiedeten und vernieteten Blechen. Ich fürchte, daß wir die Schwierigkeiten der Fertigung um 1805 kaum nachvollziehen können.

“Columbian Engine” bei den Wasserwerken der Stadt Philadelphia

Bei seiner zweiten Maschine verwandte Evans statt der vier Einzelventile ein Drehventil. Lt. Matschoss kam Idee dazu von einem Tischler, dem Evans das Patent abkaufte.

Die “Columbian Engine” findet sich als Modell im 1824 gegründeten Franklin Institute in Philadelphia 2. Auf dem Modell befindet sich eine Notiz “From Fairmount Water Works, designed by Oliver Evans; model at Franklin Institute”. Das Modell wird dort dem Jahr 1815 zugeordnet.

Durch die “Fairmount Water Works” (das sind die Wasserwerke der Stadt Philadelphia) steht nun eine weitere Quelle zur Verfügung. 1876 hat der Sohn des Begründers dieser Wasserwerke Frederick Graff junior (er war seinem Vater in der Leitung nachgefolgt) einige Notizen verfasst 3.

Graff zählt eine Handvoll Maschinen auf, die um 1801 in Amerika existierten. Es handelt sich mit einer Ausnahme um atmosphärische Maschinen, die aus England importiert wurden. Die Ausnahme wird als “kleine Maschine” bezeichnet,

used by Oliver Evans to grind plaster of Paris at the corner of Ninth and Market Streets, Philadelphia

in meiner Übersetzung

die von Oliver Evans an der Ecke Ninth und Market Street benutzt wurde, um Gips zu mahlen.

Da ist sie also wieder, die “Drop Valve Engine”.

Zur “Columbian Engine” weiß Graff mehr zu berichten. Er schreibt etwa (in meiner Übersetzung, Kommentare in eckigen Klammern):

Hier [in den Wasserwerken von Philadelphia] errichtete Oliver Evans seine erste große Hochdruckmaschine. Diese hatte einen Kolbendurchmesser von 20 inches [ca. 50 cm] und einen Hub von 5 foot [ca. 1,50 m] und ein rotierendes Dampfventil, welches über Zahnräder von der Hauptwelle angetrieben wurde. Sie besaß eine doppeltwirkende Pumpe mit 20 inch Kolbendurchmesser und 5 foot Hub. Der Balancier bestand aus Holz und war am einen Ende beweglich gelagert. Am anderen Ende griff die Kolbenstange an.

Die Kessel waren aus Schmiedeeisen, 27 feet [das sind über 8 m], 27 inches Durchmesser [fast 70 cm] und 4 an der Zahl. Gelegentlich wurde der Dampfdruck bis auf 220 psi gesteigert [über 15 bar]. Es gab zwei Explosionen, bei denen 3 Männer starben, eine am 20. Juni 1818, die andere am 12. Oktober 1821.

Diese Maschine wurde am 15. Mai 1817 zur Abnahme übergeben. Dabei lief sie 23 1/2 Stunden. Das Reservoir wurde 9 foot 5 inches [knapp 3 m] gefüllt, was einem Volumen von 13.875 Kubikmeter entspricht [da kann was nicht stimmen ???]. Der Dampfdruck bewegte sich zwischen 194 und 200 psi [bis 13,8 bar]. Bei 22 Hüben pro Minute wurden 47 Kubikmeter Eiche verfeuert.

Die Maschine wurde am 14. Januar 1822 außer Betrieb genommen.

Soweit Frederick Graff junior. Zu erwähnen ist noch, daß es noch eine zweite Maschine (eine atmosphärische, wohl aus England importiert) in den Wasserwerken gab. Im allgemeinen war aber wohl Evans’ “Columbian Engine” in Betrieb, da sie zuverlässiger war.

Die Maschinen wurden außer Betrieb gesetzt, weil die hohen laufenden Kosten Frederick Graff senior bewogen hatten, eine alternative Lösung zu finden. Diese benötigte keine Pumpen, sondern nutzte neu angelegte Reservoire und den natürlichen Wasserdruck.

Die Notizen von Frederick Graff wirken auf mich absolut überzeugend. Ich werte sie als Beleg, daß die “Drop Valve Engine” sehr wohl existiert hat und das die “Columbian Engine” ein realer Erfolg war - wenn auch deutlich später, als andere Quellen dies behaupten.

Orukter Amphibolos

Für ein anderes Thema fehlt es leider vollständig an Quellen, die die Aussagen von Oliver Evans in “The Abortion …” stützen.

Evans schreibt, daß er im Auftrag der Stadt Philadelphia einen amphibischen Bagger (er nannte ihn “Orukter Amphibolos”) konstruiert und erbaut habe. Dieser sollte mit einer Eimerkette den verschlammten Hafen reinigen. Von seiner Werkstatt aus sei das Fahrzeug mit eigener Kraft auf Rädern zum Fluß gefahren, dann als Boot zur Einsatzstelle.

Die Maschine, die dies geleistet haben soll, hatte lt. Evans knapp 13 cm Kolbendurchmesser und einen Hub von knapp 50 cm.

Prof. Steven Lubar, ein amerikanischer Historiker, der vor allem zur Technikgeschichte seines Landes publiziert hat, hat sich in einem Aufsatz 2006 4 zu dieser tollen Geschichte geäußert. Er legt dar, daß mit Ausnahme einer Anzeige, die Evans selbst aufgegeben hat, dieses historische Ereignis in den Zeitungen jener Tage keinerlei Erwähnung findet. Lubar beschreibt ferner, daß die Stadt Philadelphia 31,10 $ erlösen konnte, als die Überreste des Orukter 1809 verschrottet wurden. Ca. 4.000 $ hatte Evans erhalten.

Für die Besucher des Capitols in Washington stellt sich die Sache allerdings anders dar. Dort zeigt ein Deckengemälde den “Orukter Amphibolos” genau in dem Moment, wo er ins Wasser fährt …

Fazit

Evans ist 1819 verstorben. Mit fast 200 Jahren zeitlichem Abstand ist es uns heute kaum möglich, seine Leistungen im zeitgenössischem Kontext zu würdigen. Auch der Vergleich mit Watt oder Trevithick ist eigentlich nicht zulässig, da beide in einem industriellen Umfeld tätig waren, in dem schon rund 100 Jahre zuvor die erste Dampfmaschine für den Arbeitseinsatz gefertigt worden war. Evans dagegen konnte allenfalls auf Handwerker zurückgreifen.

So darf man wohl von einer wirklich herausragenden Leistung sprechen. Ebenso bemerkenswert ist es, daß Evans schon so früh sehr klar die Möglichkeiten der Dampfmaschine für den Transport sowohl auf dem Wasser als auch zu Lande erkannt hat.

Stand 26.12.2016